Rostock Piranhas vs. Hannover Scorpions: 5:4 nach Verlängerung.
Torschützen: Öhrvall (2x), Pohl (2x), Kevin Kunz
Zuschauerzahl: 995
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Text: Hannes Hilbrecht
Fotos: Peter-Paul Reinmuth
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»We don’t let them shit on our ice.«
Übersetzt:
»Wir lassen uns nicht von denen auf unser Eis kacken.«
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Bereits vor dem Spiel war die Begegnung auf Temperatur. Logisch, war ja auch das sogenannte Warm-up. Normalerweise ist das Prozedere klar: Die Heimmannschaft geht als erstes aufs Eis. Es ist kein Gesetz, aber so üblich in Rostock.
Als um 19:19 eine Mannschaft aus dem engen Kabinengang quoll, gab es eine Überraschung. Es waren die Gäste, die teils unter Affengeheul aufs Eis sprangen. In Hannover gibt es anscheinend keine Huh-Girls, sondern Huh-Knaubs. Aber na ja. Hoch motiviert waren die Gäste jedenfalls, als sie hünenartig das Eis betraten. Eine beeindruckende Mannschaft.
Bei nicht allen Piranhas kam der Move beim Warm-up gut an. Wer genau den Satz sagte, den wir vor dem Text zitiert haben, verraten wir nicht. Klar ist aber: Er fiel direkt nach dem Einlauf der Rostocker Jungs als klare Kampfansage.
»Wir lassen uns nicht von denen auf unser Eis kacken.«
Das 1. Drittel:
Normalerweise war die Rollenverteilung klar: Wenn die Scorpions kommen, wird erst mal defensiv gestanden. So beeindruckend aufgestellt ist der Starlight-Express aus der Wedemark. Da mag man schon mal lauthals wie Gustavo Kuerten früher auf dem Tennisplatz »Aquin« stöhnen, wenn man diese Qualität sieht. Während bei den Scorpions sämtliche Spieler wieder aus dem Arrest der Spielsperren (der Leipzig Fight) entlassen wurden, kämpften die Piranhas gegen die volle Kapelle der Gäste mit Ausfällen. Miezkowski, Stopinski, Häring, Pöpel und Tramm – feste Säulen fehlten.
Eine mehr als schlechte Ausgangslage. Entsprechend defensiv äußerte sich auch so mancher Vereinsvertreter vor dem Spiel. »Wir wollen den Fans einfach ein gutes Spiel bieten. Mehr müssen wir uns eigentlich nicht vornehmen bei der Ausgangslage. Kämpfen und sehen, was möglich ist.«
Auch hier gilt: Versprechen gehalten. Und zwar ab der ersten Minute.
Die Piranhas kamen viel besser ins Spiel als der überraschte Gast. Bereits nach wenigen Augenblicken eine fette Chance, als Jesper Öhrvall sich um die Gegenspieler wandte und an Kevin Reich scheiterte.
Kurz darauf kamen die Piranhas zu den nächsten Möglichkeiten in einem 5:3-Powerplay – aber der überragende Goalie hielt gleich mehrmals famos. Kevin war nicht allein zu Hause, sondern überall im Tor zu finden. In teils akrobatischen Posen.
Und die Gäste? Nutzten den ersten Fehler der Piranhas eiskalt aus. Justin Kirsch knallte die Kirsche dabei mit unfassbarer Härte an Christian Guran und Sebastian Albrecht vorbei. Guran sagte später: »Der Schuss war eine Rakete. Ich habe den am Hintern gespürt, obwohl der Puck einige Zentimeter an mir vorbei flog.«
0:1 hinten. Gegen die kadertechnisch beste Mannschaft der Liga. Eigentlich keine gute Ausgangslage. Aber für die Piranhas scheint ein Rückstand momentan nur eine dornige Chance zu sein. Der erste D-Day für die Verteidigung der Scorpions nahte, als der Schaludek-Express sich beeindruckend durchkämpfe. Er die Scheibe irgendwie nicht und irgendwie doch am Torwart vorbei brachte, und Jesper Öhrvall den Puck über die Linie stolperte. Ein seltsames Tor, ein schmerzhaftes Tor. Öhrvall kollidierte nämlich mit dem Torgestänge.
Kurz darauf bekamen die Piranhas wieder ein Powerplay, und dieses Mal gab es die Belohnung für das drückende Spiel. Aus dem Gewühl hoppelte die Scheibe auf das Schlägerblatt von Patrick Pohl, der mächtig abzog – und Kevin Reich so den Daumen zeigte.
2:1 nach 20 Minuten. Verdient. Das Spiel gedreht. Die Schillingallee kochte.
Zweites Drittel:
Kalte Duschen sollen sehr gesund sein. Beim Aufwachen helfen. Das Immunsystem ähnlich effektiv wie Grünkohl mit Bremer Pinkel aufputschen. Auch abhärtend wirken, was immer das genau heißt.
Die Piranhas lief jedenfalls das kalte Wasser wieder über den Rücken. Kollege Markus Eberhardt von den Scorpions schoss ein malerisches Tor. Tänzerisch begabt, mit hartem und platziertem Schuss. Sebastian Albrecht durfte jedenfalls Sterne zählen bei dieser Meisterleistung.
2:2 – keine zwei Minuten waren da gespielt.
Aber man kann nur wiederholen: Rückschläge sind für Piranhas scheinbar dornige Chancen. Denn die zweite Eisschlacht sollte gleich wieder in die andere Richtung kippen. Ilja Fleischmann stibitzte sich den Puck, löffelte auf Kevin Kunz, der wiederum Kollege Reich seine Grenzen aufzog. Der starke Schlussmann hatte keine Chance. Das Duell der Alpha-Kevins ging an Rostock.
Die Piranhas waren nur richtig bissig, hatten zwar nicht mehr Spielanteile, aber die besseren Chancen. Nach einem ungewohnten Reich-Fehler beim Herausspielen der Scheibe wurde eine dieser Gelegenheiten »volltrefflich« genutzt. Patrick Pohl spielte geistesgegenwärtig auf Jesper Öhrvall, der aus kurzer Distanz verwertete. 4:2. Die Halle und die Scorpions waren gleichzeitig, wenn auch aus anderen Gründen, am Brodeln.
Aber der Siegestaumel währte nur kurz. Denn schlanke 19 Sekunden brauchten die Scorpions, um das Spiel auszugleichen. Erst verwerteten sie einen Abpraller nach beachtlicher Druckphase, dann war es ein famoser Aquin-Moment, der Kollege Allan McPherson den Ausgleich bescherte.
Das Spiel war erneut am Kippen, die Piranhas hatten ihre dritte eiskalte Dusche genommen. Gut, dass es den barmherzigen Samariter Michael Knaub gibt. Denn in einem etwas zwiespältigen Moment der Nächstenliebe schenkte er den taumelnden Piranhas eine 5-Minuten-Spieldauer-Strafe. René Behrens überstand das unnötige Foul abseits der Scheibe zum Glück unbeschadet. Leider galt das auch für die Scorpions. Teilweise gute Powerplay-Chancen der Raubfische versiegten im beeindruckenden Penaltykilling der Gäste.
Die Stimmung vor dem letzten Abschnitt war komisch. Einerseits war da schon Stolz und Dankbarkeit. 40 Minuten hatten die Piranhas ihren Fans alles geboten, was man beim Live-Sport sehen will. Mutiges Offensivspiel. Kampfgeist und Leidenschaft. Herz. Dann war da die Anspannung: Würden sich die Raubfische vom dritten Rückschlag wirklich erholen? Und da war auch noch Wut und Unverständnis wegen so manchen merkwürdigen Gebarens auf dem Eis.
Das letzte Drittel war ein Thriller – wenn auch ohne Tore. Die Scorpions waren nun klar besser, hatten tolle Chancen, aber Albrecht hielt. Das erste Powerplay der Gäste wurde nur mit irgendwie aufgebrachten Kräften abgewehrt. In den letzten zwei Minuten wurde noch so manche defensive Heldentat bejubelt.
Dann endlich – die Sirene und ein Applaus, warm und laut, der sich bereits nach einem Sieg anfühlte. Aber es ging in die Overtime. Sudden Death. Den letzten sticht der Skorpion, sagt man doch so. Oder?
Heute nicht.
Drei Schlüsselmomente brachten die Piranhas zum Sieg. Erst holte Jesper Öhrvall eine Strafzeit mit flinken Beinen raus. Noch vor dem großen Raubfisch-Moment hätten die Gäste fast in Unterzahl das Siegtor geschossen. Albrecht und Glück vereitelten das Desaster.
Und dann?
Erlebte Patrick Pohl seine Vendetta gegen den Ex-Verein.
Bereits zweimal hatte er es aus scheinbar unmöglichen Winkel gut versucht. Ein Schuss ging an den Helm von Reich. Ein anderer an die Latte. Nun stand Pohl wieder halb links vor dem Tor. Schaute sich die Lage genau an – drückte ab.
Tor.
Eine Explosion auf dem Eis, die sich sofort auf die Tribüne übertrug.
Das 5:4. Ein Zaubertor. Denn da, wo der Torwart eigentlich keinen Platz ließ, schlug die Scheibe ein. Kevin Reich hatte wohl im falschen Moment geatmet, sodass ein kleines Stück Torhüterschulter fehlte.
Während die Piranhas feierten, schlichen die Scorpions mit gesenkten Köpfen vom Eis. Das Affengeheul einzelner Spieler war längst verstummt. Die Hannoveraner hatten alles aufgeboten, was sie hatten, vor allem Willen und Ehrgeiz. Und doch haben sie gegen die Rostock Piranhas verloren.
Das zu schreiben, fühlt sich verdammt gut an.
Der Respekt an den Gegner:
Bildhübsche Tore. Tolle Angriffe mit viel Wucht. Wenn diese Mannschaft Eishockey spielt, kann man sich das verdammt gut angucken. Es war ein fantastisches Eishockeyspiel, und dazu gehört immer auch ein Gegner, der Klasse und Emotion mitbringt. Danke an spielerisch starke Scorps für den Abend!
Der Notizblock:
Patrick Pohl machte sein bestes Spiel für die Raubfische. Zwei fantastische Tore, die man nicht einfach so den Fans kredenzt. Dazu eine tolle Vorlage. Auch sonst überall stark. Zurecht gab es für Blacky in der Kabine reichlich extra Applaus und den abgewetzten Helm für den herausragenden Teamkollegen des Abends.
Was Emil Bejmo und Connor Hannon am Wochenende abreißen mussten, war unglaublich. Insgesamt kamen beide auf knapp 65 Minuten Spielzeit in den Duellen mit Hamm und Hannover. Standen also jeweils über die Hälfte der Zeit auf dem Eis. Überragender Kampf der beiden!
Serafin Hörl durfte erst mal richtig viel Eis sehen, und hätte sich fast mit einem glorreichen Alleingang belohnt. Thomas Voronov kämpfte wie vier Musketiere für seine Teamkollegen. Stark, was die beiden Stürmer aus ihrer erhöhten Spielzeit machten.
5:4 gegen Hamm und 5:4 gegen Hannover. Ein unfassbar anstrengendes Wochenende wurde mit zwei Siegen beendet. Auch ersatzgeschwächte Piranhas sind bissig. Das ist einfach irre gut.
Die Hälfte der Hauptrunde ist rum – und die Piranhas sind Tabellenvierter. Und das vollkommen verdient. Was für ein Momentum. Jetzt heißt es: weitermachen!
Überragend auch die Stimmung in der Halle. Das hat sich fast ein wenig nach Playoff-Eishockey angefühlt. Auch weil die Fans immer da waren, wenn das Team es brauchte. Kommt alle wieder!
Der NDR drehte einen kleinen Film über das Vereinsleben der Piranhas – eine tolle und beidseitig wertschätzende Erfahrung. Der Beitrag soll vermutlich morgen im Nordmagazin laufen. Wir freuen uns sehr über diesen medialen Besuch!
Eine Serie blieb, eine andere wurde gebrochen: So feierten die Raubfische den 7. Heimsieg in Serie und die neunte Partie vor eigenem Publikum mit Punkten. Aus den zurückliegenden neun Heimspielen wurden 24 von 27 Punkten geholt. Heimmacht! Zudem gelang den Raubfischen endlich einmal ein dritter Sieg in Folge.
Fakt des Tages:
Wenn die Saison erst mit dem 5. Spieltag begonnen hätte, wären die Piranhas Tabellenzweiter! Aus 18 Spielen wurden 37 Punkte geholt. In einem Wort: unfassbar!
Unser Appell: Am Freitag geht es gegen den Tabellenführer aus Tilburg. Alle in die Halle!