Rostock Piranhas vs. Hannover Scorpions 4:3 nach Verlängerung
Tore: Hannon, Schaludek, Öhrvall (2x)
Zuschauerzahl: 1.052
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Fotos: Peter Paul-Reinmuth
Text: Hannes Hilbrecht
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Gestern, etwa um 22:35, rief Vorstand Tobias Mundt beim Verfasser dieser Zeilen an. Ausnahmsweise mit einem klaren Wunsch für den heutigen Spielbericht.
Ganz oben möge bitte stehen, dass er unfassbar stolz auf die heutige Mannschaftsleistung sei. »So stolz wie heute bin ich schon lange nicht auf eine REC-Mannschaft gewesen. Mehr Herz und Leidenschaft kann ein Team nicht zeigen«, so der Vereinspräsident.
Wer den Tobi kennt, weiß, dass er jeden Tag Einsatz und Liebe für den Verein vorlebt. Die emotionalen Worte aber nicht unbedingt sein Hauptcharakterzug sind. Das gestern Abend in der Schillingallee ging jedoch zu Herzen. Und zwar jedem.
Was war passiert?
Die Piranhas haben nicht nur die Pre-Playoffs erreicht. Sie haben auch den Tabellenzweiten geschlagen. Nicht irgendwie, sondern überzeugend. Mit 4:3 nach Verlängerung. Und auch das ist nur die halbe Geschichte.
Erneut traten die Piranhas stark dezimiert an. Emil Bejmo setzte doch aus, wie am späten Nachmittag entschieden wurde. Eine Vorsichtsmaßnahme. Coach Lenny Soccio konnte daher nur acht nominelle Stürmer aufbieten. Christian Guran, in den vergangenen Wochen eine Stütze in der Verteidigung, komplettierte daher die dritte Reihe.
Bei den Scorpions hingegen passten kaum alle Spieler auf den Spielberichtsbogen. Eine lange Bank, wie man sagt. 6 Verteidiger, 12 Stürmer. Der nominelle Liga-Primus bot alles auf, was er hatte. Es sollte für nicht mehr als einen Punkt reichen.
Das erste Drittel:
Von Beginn an entwickelte sich ein temporeiches Spiel. Die Scorpions hatten mehr Spielanteile, ließen den Puck laufen. Aber die Piranhas verteidigten engmaschig. Und sie konterten. Nach sechs Minuten das erste Mal erfolgreich.
Pohl, Schaludek und Hannon spielten einen Angriff formidabel aus, Kevin Reich im Gästegehäuse war das erste Mal geschlagen. Nur Sekunden später durfte er dasselbe noch mal in der Rolle des unfreiwilligen Sekundanten erleben. Annähernd baugleich.
Diesmal kombinierten Steinmann, Fleischmann und Schaludek sonntagausgehfein. Die Scorpions wussten gar nicht wie ihnen geschah. Hallen-Anheizer Ecco Weber hatte nicht mal das erste Tor final zu Ende angesagt.
Die Antwort des kometenhaft großen Favoriten folgte jedoch prompt. Justin Kirsch traf perfekt platziert in den Winkel. Der Ausgleich schien in den Minuten danach nah, aber er fiel nicht. Borschtel sei Dank.
Das zweite Drittel:
Die Piranhas bekamen schnell ein Überzahlspiel, und dank der Dummheit eines Spielers, gab es eine weitere Strafe gegen die Gäste. 5 auf 3 – fast zwei Minuten lang.
Und die Piranhas kamen sofort in die Momente. Weil sie Bullys gewannen, und weil sie scharf schossen. Erst brachte Patrick Blacky Pohl die Latte zum Heulen. Dann verstreckte Jesper Öhrvall einen Schuss im Hannover-Tor. Zuvor hatte er sich den Puck seelenruhig zurechtgelegt. So ruhig, dass manche Fans um einen Schuss Glück bettelten. Ein Tor, das besser schmeckte als mancher „Wruckeneintopf.“
Aber neben Glück ist auch Wut ein starkes Gefühl. Als hätten die Scorpions ein Pervitin-Bad genommen, drehten sie nun auf. Druck, Druck, Druck. Erst McPherson, dann Cameron – mit geballter individueller und potenzieller DEL2-Klasse glichen die Scorpions nach etwa 33 Minuten aus.
Fielen jetzt die Piranhas um?
Das dritte Drittel:
Nein. Das taten sie nicht. Mit aufopferungsvollen, aber jederzeit fairen Kampf stemmten sich die Piranhas gegen die Hannoveraner Führung. Und tatsächlich: Sie fiel nicht.
Immer wieder Albrecht, immer wieder ein Block oder eine andere heldenhafte Abwehraktion. Hannon, Turnwald, Stromberg, Plauschin sowie Behrens (und ALLE Stürmer) kämpften sich in die Overtime. Und hier wurde es dramatisch.
Die Overtime:
Das Drama begann schon zum Ende des letzten Drittels. Denn Jesper Öhrvall, der regelmäßig Ziel von Möchtegerngroßwildjägern in der Oberliga Nord wird, hatte mal wieder einen Check kassiert. Dieser war so stark eingeschlagen, dass das Visier aus seinem PALMBERG-Helm gebrochen wurde. Vorstand Tobias Mundt beäugte ungläubig die Trümmerteile.
Das Problem: Öhrvall brauchte einen Helm. Seiner war nicht rasch zu reparieren. Und Helme sind nunmal nicht alle gleich groß. Ein passender musste erst mal gefunden werden. Christian Guran, der Ersatzstürmer, einer der leisen Helden des gestrigen Abends, gab seinen ab.
Im Autorenkopf gedieh schon zu diesem Zeitpunkt eine kühne Fantasie. Wie geil wäre es, wenn Öhrvall mit dem Helm von Guran das Siegtor schießen würde?! Träumen ist ja erlaubt!
Doch zunächst drohte Ungemach. Sebastian Albrecht musste die erste Schusssalve parieren. Dann ein plötzliches Eins-auf-Eins. Aber Albrecht hielt. Abpraller. Ein wuchtiger Schuss von der Blauen. Albrecht hielt wieder. Und nicht nur das.
Der Puck kullerte abprallend auf den Schläger von Jesper Öhrvall. Und der zog an mit aller Kraft, die noch im Schwedenkörper steckte.
Kilian Steinmann schleppte sich – bereits im hochroten Bereich – ebenfalls mit in den Konter. Das machte das Verteidigen für den Hannoveraner Verteidiger umso schwieriger.
Und dann auch noch Öhrvall. Der Professor am Schläger. Mit Wucht jazzte er den Puck in die Maschen. Arme der Fans wurden ruckartig hochgerissen, Münder standen so weit auf vor Freude, dass so manchner Omnibus in ihnen hätte einparken können. Die Halle vibrierte vor Glück. Sie war mit Ausnahme einiger wenige Gäste eine Caravan of Love.
Fast noch bemerkenswerter war der Frust bei den Scorpions. Eine spielerisch bewundernswerte Mannschaft, die sich leider nicht ausschließlich mit Eishockey beschäftigt. Dass es bei der Siegerehrung für den Spieler des Spiels eine Mundschelle gibt – das hat man auch noch nicht oft gesehen. McPherson waren anscheinend sämtliche Sicherungen durchgebrannt.
Dass eine Top-Mannschaft bei den Rostock Piranhas verliert, ist das eine. Dass sie auch die Contenance einbüßt, spricht nur noch mehr für den Kampfgeist bei den Raubfischen.
Gestern Abend gewannen eindeutig nicht die besten Spieler. Es gewann die bessere Mannschaft. Und ein ganz kleines bisschen auch der Eishockey-Sport.
Besonders dieser zeigte sich am Sonntagabend von seiner besten Seite.
Gedanken:
Unbesungene Helden gibt es viele. Zwei sollten wir besonders herausheben. René Behrens wirft gerade alles für die Piranhas rein. Gegen Hamm zog er einfach mal ab, und nach dem Abfälscher stand es endlich wieder 1:0. Ne Woche später kümmerte sich Behrens um Duisburgs Edwin Schitz, der mit einem Brutalo-Check Serafin Hörl schwer verletzte. Und gestern nahm er mit dem Kopf voran einen Block, der schon beim Hinsehen schmerzte.
Ganz anders und doch genauso bewundernswert: Nils Plauschin. Der 19-Jährige spielte mit dem Mut eines erfahrenen Recken gegen die Hannoveraner Stars. Plauschin und Behrens – sie gaben wie jeder andere alles für den Sieg.
Die Piranhas spielen Pre-Playoffs. Nach einer Durststrecke mit elf Pleiten sowie einem Schwerverlezten nach dem anderen gab es nun zuletzt 11 von 15 möglichen Punkten. Dieses Team hat den größten Kampf in dieser Saison schon mal gewonnen. Es ist nach all den Tiefschlägen wieder aufgestanden. Und zwar für euch Fans.
Gestern fanden die Piranhas auch wieder endgültig zur Siegesformel: Spielwitz in der Offensive, und totale Aufopferung in der Defensive. Dieses Team ist mit dieser Saison noch nicht fertig!
Wie das Eishockeyspiel war auch die Stimmung in der Schillingallee. Elektrisierend. Intensiv. Aufgeschäumt. Bitte am Freitag wieder.
Vor allem:
Hat dieses Team uns Fans in turbulenten Zeiten vor allem eines geschenkt: Hoffnung. Egal wie hart der Wind von vorne weht – wer standhaft bleibt, nicht umkippt, dazu zusammenhält, kommt auch wieder voran. Dann nämlich, wenn Menschen zusammenhalten und gemeinsam an den nächsten Erfolgen arbeiten.
Diese Rostock Piranhas sollten uns eine Inspiration sein.
Denn gemeinsam sind wir #bissigfürrostock.