Was haben die Rostock Piranhas und die Detroit Red Wings gemein?
Klar, eine »ähnlich« illustre Vereinsgeschichte. Aber am Freitagabend waren beide Teams auch »dramaturgisch« Brüder im Geiste.
Nur wenige Stunden nach dem 5:4-Overtime-Sieg der Piranhas (nach 4:0-Führung) verbaselten die Red Wings um Moritz Seider einen 5:1-Vorsprung gegen die Philadelphia Flyers. Nachdem sie kurzzeitig mit 5:6 hinten lagen, folgte ein kleines Comeback zum 7:6 Sieg nach Penaltyschießen.
So viel Drama muteten die Piranhas ihren Fans nun nicht zu, dennoch schmeckte der Sieg angesichts der deutlichen Führung etwas bitter. Vielleicht sogar im Abgang nach verlorenem Punkt.
Der Spielbericht:
Das Spiel bis zur 25 Minute
Herford war bemüht, das sah man früh, aber wirklich gefährlich wurde es selten. Sebastian Albrecht wirkte im Piranhas-Tor überdies extrem robust. Die erste richtig große Piranhas-Chance ergab dagegen sofort ein Tor. Emil Bejmo gewann die Scheibe unnachahmlich hinter dem gegnerischen Gehäuse, Mike Mieszkowski verwandelte sehenswert.
Der Killerinstinkt der Piranhas wurde danach noch sichtbarer. Nolan Renke spielte einen hervorragenden Pass auf Kevin Kunz, der mit Eiseskälte in August-Manier zum 2:0 abschloss.
Und damit nicht genug: Keegan Dansereau prügelte einen Gegenspieler per Check in die Bande. Dann nahm er den Puck, schaute Verteidiger und Torwart aus, und jazzte das Hartgummi unter die Latte. Ein phänomenales Tor. Keine 19 Minuten waren da gespielt.
Sekunden nach dem Beginn des zweiten Drittels folgte dann der nächste abgezockte Piranhas-Angriff. Max Schaludek sprintete die Bande entlang, passte scharf in die Mitte. Und Keegan tat das, was ein Keegan eben tut: Er knallte die Scheibe rein.
4:0. Die Piranhas zwar nicht drückend überlegen, aber deutlich reifer und schnörkelloser als der Gegner. Für die Herforder konnte man zu diesem Zeitpunkt schon das Ave Maria singen. Mausetot erschien beinahe als hanebüchene Untertreibung.
Was soll schon schief gehen?
Das Spiel ab der 25. Minute:
Es gibt Trainer im Eishockey, die sagen, dass sie einen Gegentreffer zum 1:2 weit weniger schlimm finden als den Anschluss zum 1:3 oder 1:4. Warum das so ist?
Der exzellente Sprade-Kommentator der Herforder (mehr später) analysierte es im Stream gut: Eishockey ist ein Spiel der Psyche. Es geht um schnelle Entscheidungen, um Selbstvertrauen und Mut. Wer zögert, verliert.
Mit dem 4:0 gegen einen fast wehrlosen Gegner ist es extrem schwierig, die Anspannung zu halten. Besonders dann, wenn Teams es nicht gewöhnt sind, mit dieser Dominanz aufzutreten. Zweikämpfe werden nicht mehr so hart zu Ende gefahren, Lockerheit schleicht sich ein.
Mit dem 1:4 kippte das Spiel aus Piranhas-Sicht komplett um. Auf einmal schien ein Zweifel an der Überzeugung zu nagen, er kroch in das Selbstvertrauen hinein. Der neuralgische Punkt, die Schlüsselszene, war das Powerplay der Herforder. Mit dem 2:4 kurz vor Ablauf der Überzahl verlagerte sich endgültig das Momentum.
Aus Sicht der Piranhas wurde es nun eng – und es drohte gleich eine doppelte Blamage.
Ein 4:0 zu verspielen.
Das gegen den Tabellenletzten zu tun, der 19-mal in Folge ohne Punkte blieb.
Während die Piranhas so schlottrige Beine bekamen wie vor dem Aufsagen von John Maynard in der Schule, war die Ausgangslage für die Herforder komplett anders.
Zwei Erfolgserlebnisse nach mehreren Nackenschlägen in einem bis dato eher laschen Spiel.
Ein taumelnder Gegner.
Dazu mal überhaupt nichts zu verlieren. Weder in der Partie, noch in der beinahe abgeschriebenen Saison.
Für die Piranhas braute sich das schlimmstmögliche Unwetter zusammen. Sofort sah man, mit wie viel Power die Herforder anliefen. Druck, Druck, Druck. Die Mannschaft konnte nur noch gewinnen, und so spielte sie. Das 3:4 war die logische Folge. Wie ein Ballon blies sich das Selbstvertrauen des Gegners auf.
Der einzige nennenswerte Nadelstich des REC von Jack Bloem scheiterte kurz vor dem Ausgleich am Pfosten. Ein Tor hätte wohl die Luft bei den Herfordern rausgelassen. So kam es anders.
Mit reichlich Glück retteten sich die Raubfische mit einem 4:4 in die Verlängerung. Ja, man muss es fairerweise zugeben: Herford hätte für die fulminante Aufholjagd auch die drei Punkte verdient gehabt.
Aber es kam dann doch anders. Es sind Rostocker Jungs.
Ab der Overtime:
In der Verlängerung änderte sich das Spiel erneut. Nicht mehr fünf Herforder konnten um ihr Leben rennen und die Piranhas niederwalzen, nun kam es auf individuelles Talent an. Und da waren die Piranhas wieder klar im Vorteil. Bereits Bejmo und Mieszkowski spielten mit den IceDragons ihre Variante von Katz und Maus. Das an diesem Abend richtig starke Duo um Max Schaludek und Keegan Dansereau erledigte den Rest. Max arbeitete vor, Keegan staubte ab. Das 5:4.
Der Gegner:
Mehr Charakter als die Herforder gestern zeigten, kann eine Mannschaft ihren Fans kaum bieten. Sich nach 19 Niederlagen noch mal aufzuraffen, teilweise alles oder nichts zu spielen, ist absolut bemerkenswert. Das war gestern ganz groß von der Heimmannschaft. Die Herforder zeigten, was sie eigentlich können, wenn der Kopf wieder nach vorn schaut. Chapeau! Gegen Hamm drücken wir euch sehr die Daumen. Natürlich ganz uneigennützig.
Und: Was euer SpradeTV-Kommentator abgeliefert hat, war auch toll. Eine sehr faire Spielbegleitung, authentische Einblicke in das aktuelle Seelenleben, aber ohne Weinerlichkeit. Richtig, richtig gute Arbeit. Dein Verein darf stolz auf so einen Kommentator sein!
Die Piranhas:
Puh, man könnte viel kritisieren. Aber Weihnachten ist das Fest der Besinnung. Daher positive Gedanken im Notizzettel:
Heute vor einem Jahr stand es schlecht um die Piranhas. Sogar ein bitteres 3:4 gegen Hamburg in der Overtime verbuchten wir damals am Tag vor Heiligabend als großes Erfolgserlebnis. Nun fühlt sich ein Overtime-Sieg auswärts fast wie eine Enttäuschung an. Die Vokabel des »verlorenen Punkts« wabert durch die Kommentarspalten. Stimmt. Aber ist genau das nicht der beste Beleg für die geile Entwicklung dieser Mannschaft?
Keegan Dansereau feierte gestern den ersten Hattrick der Saison. Ein extrem heiß laufender Keegan wäre in dieser Saisonphase wahrscheinlich das beste Geschenk für jeden REC-Fan.
Max Schaludek lieferte gestern zwei bärenstarke Assists. Nach seinem Tor in Duisburg kommt Max gerade so richtig in Rostock an. Auch das ist eine gute Nachricht.
Bei aller Kritik bezüglich des Spielverlaufes: Am Ende waren die Rostocker Jungs so resilient, dass sie den Nackenschlag des 4:4 nicht nur überlebt haben. Sie fanden einen Weg, das Spiel zu gewinnen. Und auch das darf man wertschätzen.
Die Piranhas haben 15 Punkte Vorsprung auf den ersten nicht Pre-Playoff-Platz. Wahnsinn!
Wie es weitergeht:
Am 2. Weihnachtstag erwarten wir gegen Halle eine festliche Kulisse. Uns fehlen nur noch etwas über 100 verkaufte Online-Tickets zum Vereinsrekord! Schlagt zu!
Hier der Link: https://www.piranhas.de/
Auch danach warten mit Erfurt und Herne zwei Schlüsselspiele. Die Piranhas schauen auf Platz 6. Und das ist sportlich gesehen ein großes Weihnachtsgeschenk für alle Rostocker Eishockey-Fans.
Gemeinsam #bissigfürrostock